«Eine Insel ist eine in einem Meer oder Binnengewässer liegende, auch bei Hochwasser über den Wasserspiegel hinausragende Landmasse, die vollständig von Wasser umgeben, jedoch kein Kontinent ist»,
heisst es auf Wikipedia. Soweit die lexikalische Auskunft. Inseln sind aber nicht nur geografische Orte. Inseln sind auch Metaphern und literarische Orte, vom mythischen Avalon über Robinson Crusoes Insel «an der Küste von Amerika», den schottischen Flannan Isles, auf denen Männer offenbar spurlos verschwinden, bis zu den Fantasy Islands, wo selbst krude Wünsche und Phantasien Wirklichkeit werden. Es sind in sich geschlossene, abgeschiedene und oft einsame Orte, auf denen der Mensch auf sich zurückgeworfen ist und der Kraft der Natur nicht ausweichen kann; manchmal eine Art Paradies, in das wir gerne zurück möchten, weil wir es romantisieren, manchmal aber auch gefährlich. Glück, Freiheit und Gefahr liegen hier besonders nah beieinander, Licht und Finsternis, Leben, Überleben und Tod. Und wir wissen schliesslich auch um die ökologische Entwicklung auf unserem Planeten; durch sie ist die «über den Wasserspiegel herausragende Landmasse», auf der und von der wir leben, inzwischen nicht mehr nur «bei Hochwasser» vom Versinken bedroht.
Das Wort «Insel» ruft jedenfalls viele Bilder auf, Gedanken, Erinnerungen und Gefühle – und sei es das Gefühl, «reif» zu sein «für die Insel» –. Deshalb schien es als Thema für den diesjährigen Textwettbewerb gut geeignet. Und es hat dann auch viele von Ihnen angeregt, sich an den Schreibtisch zu setzen oder einen früheren Text hervorzuholen und vielleicht noch zu überarbeiten, um an dem Wettbewerb teilzunehmen. Dafür bedanken wir uns; für die Texte, aber auch für Ihren Mut, sich mit etwas Selbsterlebtem, Erdichteten, Erzählenswerten und vielleicht noch Unbewältigten fremden Augen auszusetzen und dem Urteil einer literarischen Jury zu stellen. Texte machen uns als Schreibende ja sehr sichtbar.
«Schreiben heisst, sich selber lesen»,
hat Max Frisch geschrieben. Und diesem Öffnungs-Prozess muss man sich stellen wollen. Zuerst alleine am Schreibtisch, und später beim Gang an die Öffentlichkeit.
Viele von Ihnen haben es getan. 115 Texte waren es schliesslich, die eingereicht wurden: eine überraschende Vielzahl und Fülle, auch dieses Jahr wieder. Lyrisches und Prosa, verfasst von Jüngeren und Älteren, und wir von der Jury haben uns mit Neugier und Freude an die Lektüre gemacht und nachher an die Diskussion darüber. Sie war nicht immer einfach, aber immer lebhaft und ergiebig. Wir fanden wenig Dämonisches in den Texten, trafen weder auf Piraten noch Menschenfresser, lasen aber von vielen Inselreisen, von Sehnsuchtsinseln und Erinnerungswelten, von Trauer-, Glücks- und Vergewisserungsorten. Sanfte und lautstarke Texte, nachdenkliche, witzige, tastende und melancholische, informative und mahnende. «Inseln» erscheinen darin oft als Gegenwelten, die locken, beglücken oder befremden; doch von der Welt, in der wir leben, von unserem Alltag, sind sie auf Dauer doch nicht abzutrennen.
«Niemand ist eine Insel, in sich ganz; jeder Mensch ist ein Stück des Kontinents, ein Teil des Festlandes»,
hat John Donne geschrieben. Denn auch literarische Figuren sind und bleiben Teil eines grösseren Ganzen. Sie sind davon geprägt und bleiben angewiesen auf Nähe, Austausch und Akzeptanz. Nicht wenige Texte thematisieren das explizit; es ist das grosse, auch literarisch wichtige Motiv vom Einzelnen in und gegen die Gruppe, die Gemeinschaft, die Gesellschaft.
Ist die Insel damit nicht auch ein wunderbares Bild für die Arbeit des Schreibens selbst? Wir ziehen uns dafür ja zurück; brauchen Distanz zu dem, was uns täglich umgibt und braucht und nicht selten auch stört. Denn das, was erzählt sein will, sucht noch seine Form, seine Sprache, braucht einen Rhythmus und Kohärenz. Wir sind allein bei dieser Arbeit und auf uns gestellt; aber wir wissen, dass die Welt, die uns umgibt, dabei nicht verschwindet. Sie wartet sogar auf uns; vor der Tür zum Schreibzimmer – oder hinter dem grossen Wasser, das uns für eine Weile von ihr trennt.
Wir werden in sie zurückkehren, wenn wir den Schatz, nach dem wir suchen, gehoben haben, poliert und sorgfältig verpackt. Und wir wissen, dass es Menschen gibt, die sich darauf freuen, ihn zu sehen: Den entstandenen Text zu hören und zu lesen.
So gesehen, wäre die Gegend um Biel-Benken (auch) ein reicher Archipel; ein Inselparadies, in das wir uns jetzt gemeinsam aufmachen. Die Schätze erwarten uns.